Frust am Arbeitsplatz:Wenn der Chef ein Idiot ist

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Viele Vorgesetzte sind eine Zumutung. Sie loben nie und meckern ständig - kein Wunder also, dass ihre Mitarbeiter Frust schieben und keine Lust haben, sich zu engagieren. Doch Resignation ist keine Lösung. Viel mehr hilft die innere Selbstständigkeit. Und, wenn es sein muss, der Kampf mit dem Chef.

Angelika Slavik

Es ist eine Tragödie, die da fünfmal die Woche in Deutschlands Büros zur Aufführung kommt. Zu sehen sind: Arbeitnehmer, die sich mühsam jeden Morgen an ihre Schreibtische schleppen, die schon am Dienstag das Wochenende herbeisehnen und die bis dahin Dienst nach Vorschrift schieben, wenn überhaupt. Ein Viertel von ihnen hat gar "innerlich gekündigt", so besagt es die jüngste von vielen Studien zum Thema. Die Frustrierten sitzen danach ihre Zeit mit geringstmöglichem Aufwand ab und warten auf den Feierabend.

Und weil jede Misere einen Schuldigen braucht, war die Erklärung für die Studienautoren schnell gefunden: Die Chefs sind verantwortlich. Deutsche Vorgesetzte loben nie und meckern ständig - kein Wunder also, dass ihre Mitarbeiter Frust schieben und keine Lust hätten, sich zu engagieren. Tatsächlich muss man sich an dieser Stelle fragen, was Führungsqualität heute bedeuten kann, was man von einem Chef erwarten darf - und wo die Verantwortung der Vorgesetzten endet und die der Mitarbeiter beginnt.

Die Ursache für schlechtes Führungspersonal liegt häufig an dem System, wie es rekrutiert wird. Vereinfacht ausgedrückt funktioniert das so: Die, die sich in einem bestimmten Aufgabenbereich besonders hervortun, rücken nach oben und bekommen einen anderen Aufgabenbereich - und oft eben auch eine Führungsfunktion. Leider sind die Eigenschaften, die man für den Karrieresprung braucht, und jene, die man für die Leitung eines Teams bräuchte, nicht die gleichen; oft verhalten sie sich zueinander gar diametral.

Wer nach oben will, fährt mit der Mischung aus Ellbogen, Egoismus und Machtstreben meist ganz gut - während ein guter Chef sich durch eine souveräne Persönlichkeit auszeichnen würde. Der ideale Chef ist jemand, der sich auch mal zurücknehmen kann, jemand der seine Eitelkeit unter Kontrolle hat. Jemand, der das berufliche und persönliche Wohl jedes seiner Teammitglieder im Blick hat, sie fördert und fordert, dabei auch noch ausgeglichen ist und gute Laune verbreitet.

Kurzum: der ideale Chef ist ein Mensch, der es in den meisten Firmen niemals in diese Position geschafft hätte.

Als Arbeitnehmer muss man also mit denen leben, die ein mangelhaftes System in die Führungsetagen befördert hat, und das sind in vielen Fällen eben solche, die alle Klischees erfüllen: die Erfolge für sich verbuchen und die Verantwortung für Fehler nur bei anderen suchen, die ihre Launen hemmungslos ausleben und überhaupt nichts und niemand anderen im Blick haben als ihre eigenen Interessen. Ja, Deutschlands Chefs sind vielfach eine Zumutung.

Aber kann das die Erklärung sein für das enorme Ausmaß an Frustration, das die angesprochene Studie offenbart hat? Wenn tatsächlich ein Viertel der deutschen Arbeitnehmer innerlich gekündigt hat - ist dann wirklich nur der Idiot in der Chefetage daran schuld?

Vielleicht muss man das Problem anders angehen. Vielleicht muss man sich fragen, ob in Zeiten, in denen die Arbeitswelt ruppig geworden ist, noch Platz ist für so viel Abhängigkeit: Ob es also zulässig ist, das eigene berufliche Glück in großem Ausmaß an die Qualität des eigenen Vorgesetzten zu koppeln.

Rechtlich wird die Bindung zwischen Mitarbeitern und Unternehmen seit vielen Jahren immer loser, unverbindlicher: Verträge werden befristet ausgestellt, Mitarbeiter werden von Zeitarbeitsfirmen geliehen, aus Angestellten werden Auftragnehmer mit freien Dienstverträgen. Liegt es da nicht nahe, auch die emotionale Bindung abzuschwächen?

Natürlich braucht es dafür ein hohes Maß an innerer Selbständigkeit. Wer sich vom Urteil seiner Vorgesetzten unabhängiger machen will, muss eine eigene Definition für die Qualität seiner Arbeit finden und sich selbst daran messen. Das ist nicht einfach, ganz egal ob man noch einen klassischen unbefristeten Angestelltenvertrag hat oder nicht. Aber es gibt Möglichkeiten: man kann etwa ein Netz schaffen aus Leuten, deren Qualitätsverständnis mit dem eigenen übereinstimmt - sei es in der eigenen Firma oder in der eigenen Branche. Aus diesen Zirkeln kommt dann auch das Lob und die Motivation, die jeder gelegentlich braucht, und die von vielen Vorgesetzten nur schwer zu bekommen sind.

Und natürlich gibt es auch noch den klassischen Weg, mit einem unmöglichen Vorgesetzten umzugehen: kämpfen. Man kann sich also wiederum bei dessen Chef beschweren, man kann sich mit allen Tricks darum bemühen, dass eigene Erfolge auch als solche ersichtlich sind, statt dem missliebigen Boss angerechnet zu werden. Und man kann an seinem Stuhl sägen und versuchen, ihn zu beerben. Ein schlechter Chef muss nicht zwangsläufig ein Grund für schlechte Stimmung sein - ihn zu bekämpfen, kann durchaus beflügeln.

Für all diese Strategien gilt natürlich: Sie sind anstrengend, ja. Aber sich innerlich unabhängig zu machen, ist in jedem Fall die bessere Alternative, als innerlich zu kündigen. Und die Mühe lohnt sich: Denn Deutschlands Vorgesetzte werden, illusionsfrei betrachtet, in absehbarer Zeit nicht besser werden. Sie werden nicht häufiger loben, sie werden nicht sachlicher kritisieren, sie werden sich nicht besser um die Belange ihrer Mitarbeiter kümmern als bisher. Allein deshalb ist es eine schlechte Idee, das eigene berufliche Wohlbefinden weiterhin als Chefsache zu betrachten.

© SZ vom 24.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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