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Kundenfrust bei 1&1 Adieu, Servicepapst!

Marcell D'Avis war das Gesicht des Internet-Discounters 1&1, in Fernsehspots präsentierte er sich als "Leiter Kundenzufriedenheit". Doch im Netz wurde der Mann schnell zum Hassobjekt, frustrierte Verbraucher fühlten sich massenhaft getäuscht. Nun schafft die Firma die Werbefigur ab. Endlich.
Szene aus einem 1&1-Werbespot mit Marcell D'Avis: Das Gefühl, getäuscht zu werden

Szene aus einem 1&1-Werbespot mit Marcell D'Avis: Das Gefühl, getäuscht zu werden

Foto: 1&1

Wenn der Service unter aller Kanone ist, wenn man vor Wut zittert, dann kann man verschiedene Dinge tun: Zum Rechtsanwalt gehen, wie Rumpelstilzchen durchs Wohnzimmer hüpfen, Zen-Meditation betreiben. Was hingegen ausscheidet: sich an seinem Hassobjekt abarbeiten. Es wäre psychologisch heilsam, doch dieses Ventil bietet sich König Kunde nicht. Denn moderne Unternehmen verstecken sich hinter 0180-Nummern, sie sind gesichtslos.

Service hat kein Antlitz.

Außer bei 1&1. Dort gibt es Marcell D'Avis.

Die Internetfirma aus Montabaur kürte D'Avis Ende 2009 zum "Leiter Kundenzufriedenheit 1&1". "Die neust' Innovation, das bin isch", so stellte er sich damals mit Westerwald-Akzent in einem TV-Spot vor. Dazu hielt D'Avis seine Visitenkarte in die Kamera - und bat darum, ihm E-Mails zu schicken. Auch einen eigenen Blog richtete 1&1 seinem Servicepapst ein .

Seitdem ist D'Avis in etlichen Spots aufgetreten. Er ist eine der bekanntesten Werbefiguren. Und eine der meistgehassten.

Es ist nicht ganz einfach, sich dem Phänomen D'Avis zu nähern. Das liegt daran, dass er für einen derart prominenten Menschen außergewöhnlich pressescheu ist. Im Archiv finden sich kaum Interviews mit ihm. Und meine wiederholten Interviewanfragen lehnte 1&1 ab: "Für ein Gespräch kann Herr D'Avis nicht zur Verfügung stehen, da er über keinerlei freie Kapazitäten verfügt."

Gibt es den Typen wirklich?

Diese Lücke zwischen D'Avis, der TV-Figur, und D'Avis, dem realen Menschen, hat dazu geführt, dass sich um ihn allerlei Verschwörungstheorien ranken. Es gebe ihn gar nicht, mutmaßen manche - der Typ sei eine reine Kunstfigur.

Das ist er nicht. D'Avis arbeitet bereits seit Anfang der neunziger Jahre bei 1&1, war dort unter anderem Callcenter-Leiter. Ein Sportfan soll er sein, und mehrere Menschen, die D'Avis persönlich kennen, berichten mir von seinem umgänglichen und sympathischen Wesen.

Es mag sein, dass D'Avis, der Mensch, ein netter Kerl ist. D'Avis, die Werbefigur, hingegen ist aalglatt und unglaubwürdig. Wie umfassend die Welle der Missgunst ist, die dem Mann entgegenschlägt, kann man auf YouTube erleben. Dort turnt er als "Leiter Kundenverarsche"  durch seine nachsynchronisierten Spots und sagt Sätze wie: "Wenn Sie eine Frage zu Ihrem DSL-Anschluss haben, lese ich sie mir nicht mal durch. Mein Team und ich scheißen auf Ihr Schreiben." Es gibt sogar Videonachrufe auf ihn. "Marcell D'Avis ist tot", heißt es da, unter brandendem Applaus.

Sehr geschmacklos, keine Frage - aber die Wut auf D'Avis ist für mich als ehemaligen 1&1-Kunden nachvollziehbar. Denn in Wahrheit ist der Service bescheiden. Das Unternehmen signalisiert zwar mit seiner Werbefigur, es gebe einen Ausweg, es gebe jemanden, der sich um Probleme kümmert. Doch das ist Theorie. In der Praxis findet ein menschlicher Dialog kaum statt.

Es entsteht vielmehr der Eindruck, der Leiter Kundenzufriedenheit habe Angst vor seinen Kunden. Denn D'Avis geht nicht auf sie zu - er verschanzt sich hinter dem System, so wie es Unternehmen mit suboptimalem Service seit eh und je tun.

Ein Beispiel: D'Avis erstes offizielles Blogpost wurde umgehend von zahlreichen wütenden Kunden kommentiert. Unerfreulich, aber dies wäre ja gerade eine Chance für ihn gewesen, zu zeigen, dass er persönlich für den Kunden da ist. Stattdessen antwortete er nicht auf die Posts, Hunderte Kommentare blieben unbeantwortet. Und wenn doch einmal jemand zurückpostete, war es ein gesichtsloser Serviceagent.

Das Gefühl, getäuscht zu werden

Ein ehemaliger 1&1-Mitarbeiter berichtet, D'Avis selbst sei von dem Zorn, der seiner Firma und seiner Person entgegenschlug, geschockt gewesen. Bald darauf begann die Firma, D'Avis' zunächst überall beworbene E-Mail-Adresse ("Damit Sie mich erreichen können") praktisch verschwinden zu lassen. Denn auch sie erregte den Zorn der Kundschaft. Viele Konsumenten hatten geglaubt, der direkte Zugang sei etwas wert - aber E-Mails an davis@1und1.de landen in derselben Warteschleife wie andere Korrespondenz. "Am 27.12.09 eine E-mail an Herrn D'Avis gesendet!!!!", so beschwerte sich ein User im 1&1-Blog. "Und bis heute 07.01.2010 KEINE ANTWORT!!!! Toller Kundenservice!!!"

Insofern ist der geballte Hass, der ihn trifft, nachvollziehbar. Er resultiert aus dem Gefühl, getäuscht worden zu sein. Von D'Avis, der im TV den Kümmerer gibt und in Wahrheit auf Tauchstation geht. Von Selfmademilliardär und Unternehmensgründer Ralph Dommermuth, der sich von Jung von Matt lieber eine Werbefigur basteln ließ, als seine Serviceprobleme zu beseitigen.

Die klaffende Lücke zwischen Versprechen und Wirklichkeit hat dazu geführt, dass Marcell D'Avis auf ganzer Linie gescheitert ist. Den Kunden war schnell klar, dass er nur ein Grüßaugust ist. Schon in den folgenden Spots wurde der Mann deshalb umpositioniert. Statt über Kundenservice redete D'Avis nun vor allem über W-Lan-Empfang oder DSL-Router.

Und nun muss D'Avis nach gerade einmal zwei Jahren zurück ins Glied. Er behält zwar seine Funktionsbezeichnung, tritt aber in der Werbung nicht mehr auf. "Weitere Mitarbeiter" stünden nun "mit ihrem Gesicht und ihrem Namen für das Unternehmen 1&1 und seine kundenfreundlichen Prinzipien", wie die Pressestelle mitteilt.

Insofern war der YouTube-Nachruf geradezu prophetisch. Denn als Serviceapostel war der nun beerdigte Leiter Kundenzufriedenheit schon seit längerem mausetot.

Hatten auch Sie ein besonderes Serviceerlebnis? Dann schreiben Sie an warteschleife@spiegel.de .

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Marcell D'Avis arbeite bereits seit den achtziger Jahren bei 1&1. Laut dem Unternehmen ist er aber erst seit Anfang der neunziger Jahre dabei. Außerdem wurde behauptet, dass sich im Archiv keine Interviews mit D'Avis fänden. Tatsächlich gibt es mindestens ein Interview.

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