"Der 11. September war natürlich eine Zäsur", sagt ein früher Regierungsbeamter, der auch in Sicherheitskreisen verkehrte. "Aber es wurden auch zuvor weitreichend Informationen ausgetauscht." Vor allen den deutschen Geheimdienstlern sei immer klar gewesen, dass die Amerikaner im Zweifel über bessere Informationen verfügen. "Wir waren auf dieses Wissen angewiesen." Wie eng das Verhältnis war, erkennt man, wenn man mit älteren Beamten über diese Zeit spricht. Es sind Erzählungen von Kaffeerunden mit CIA-Agenten, bei denen man sich im Kampf gegen einen gemeinsamen Gegner vereint fühlte: erst war es Russland, später dann die Terroristen. "Es gab fast keine Geheimnisse", sagt ein früherer Geheimdienstler.

Auch dass Amerikas Geheimdienste in Deutschland über alle Freiheiten verfügten, ist nicht neu und hat nichts mit dem 11. September zu tun. Wer wollte, konnte schon 1989 aus dem Magazin Der Spiegel erfahren, dass die NSA Freund und Feind abhört, dass sie in Deutschland flächendeckend Telefonate mitschneidet, Faxe mitliest und Briefe öffnet. "Westdeutsche Geheimdienstler wissen längst, dass das Fernmeldegeheimnis, der gesetzliche Schutz des 'nichtöffentlich gesprochenen Worts', nichts gilt", schrieb der Spiegel damals. "Wer immer zwischen Nordsee und Alpen zum Telefonhörer greift, muss gewärtig sein, dass auch die NSA in der Verbindung ist – Freund hört mit."

Und wer wollte, konnte früh ahnen, was die flächendeckende Erfassung von Daten bewirken würde. Schon seit 1996 wurde beispielsweise über die Vorratsdatenspeicherung diskutiert. Damals hatte der Bundesrat zum ersten Mal gefordert, die Speicherfrist dieser Daten zu verlängern, um sie für die Strafverfolgung nutzen zu können.

Eigenes Rechtsbewusstsein der US-Dienste

Die Tage nach dem 11. September ließen Amerikaner und Deutsche nur enger zusammenrücken. Der FDP-Politiker Gerhart Baum, Bundesinnenminister unter Kanzler Helmut Schmidt, zieht sogar eine direkte Linie von den Reaktionen des Westens auf die Anschläge bis zur Überwachungsaffäre der Gegenwart. Er glaubt, dass die Anschläge und die gleichzeitig einsetzende Digitalisierung "ein großer Motivationsschub für die Geheimdienste" waren, "alles einzusetzen, was technisch möglich ist". Und das beileibe nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. "Seit dem 11. September 2001 hat Deutschland an einer sicherheitspolitischen Aufrüstung teilgenommen", sagt Baum. Auch die Kontrolleure des Parlamentarischen Kontrollgremiums berichten von einer "ungeheuer starken Zusammenarbeit" in dieser Zeit.

Dass die Zusammenarbeit Schattenseiten hat, war ebenfalls kein Geheimnis. Das bemerkte die Politik spätestens mit den Entführungen von Murat Kurnaz im Jahr 2001 und Khaled al-Masri 2003. Bereits damals war klar, dass die amerikanischen Sicherheitsdienste "ein eigenes Rechtsbewusstsein" an den Tag legen, wie es ein Parlamentarier ausdrückt: "Damals habe ich gelernt, dass die Sicherheit ihres Landes für die Amerikaner über allem steht." Die Politik hielt das jedoch nicht davon ab, die Kontakte noch enger zu machen und den Informationsaustausch noch zu verstärken.

Vor allem dem früheren BND-Chef Hanning wird von Parlamentariern nachgesagt, ein Faible für die Datensammelwut der Amerikaner gehabt zu haben, und genau wie sie nach dem Prinzip zu handeln: So viel Wissen wie möglich, denn Wissen bedeutet Macht. Zwischen 2004 und 2007 half der BND schließlich mit, massenhaft Daten vom Frankfurter Internetknoten in die USA zu leiten – eine Tatsache, die Öffentlichkeit und Parlament erst offenbar wurde, als sie der Whistleblower Edward Snowden enthüllte.

Zwar stoppte der spätere Kanzleramtsminister Thomas de Maizière 2007 das Programm. Doch Kritiker monieren, dass sich am Grundwesen der Geheimdienste nichts geändert habe: Noch immer reizten sie ihre Befugnisse so weit wie möglich aus, noch immer seien sie intransparent und entzögen sich jeder Kontrolle. "Die Geheimdienste – sowohl in den USA als auch in Deutschland – sind bis heute unkontrollierbare Räume geblieben", sagt der frühere Linken-Politiker und Bundesrichter Wolfgang Neskovic, der Mitglied im Kontrollgremium war. "Trotz aller Skandale entziehen sie sich jeder parlamentarischen Kontrolle."

Womöglich besteht deshalb der Kern des Konflikts in einer wachsenden Kluft zwischen der Regierung und dem Rest des Landes. Während die Regierung relativ tatenlos zusieht, wie Amerikas Geheimdienste deutsche Bürger ausspionieren, hat sich die Einstellung der Gesellschaft zu staatlicher Überwachung schneller verändert, als viele es für möglich gehalten hätten.

Misstrauen wächst seit Jahren

Seit Jahren wächst das Misstrauen gegenüber Unternehmen, deren Geschäftsmodell die Daten ihrer Nutzer sind. Seit Jahren gibt es nicht nur in Deutschland Demonstrationen und Klagen gegen staatliche Überwachungsvorhaben wie die Vorratsdatenspeicherung. Die von Edward Snowden veröffentlichten Dokumente haben nicht zuletzt dazu geführt, dass Millionen Menschen inzwischen ihre E-Mails verschlüsseln. Und dass Unternehmen sich über Geheimdienste aufregen und fürchten, sie zerstörten das Vertrauen der Kunden. Google protestierte wütend beim amerikanischen Präsidenten und verschlüsselt nun seinen kompletten Datenverkehr. Die Telekom will ein europäisches Internet bauen und entwickelt ebenfalls Verschlüsselungen für ihre Angebote. Wirklich Recht ist es der Bundesregierung und den Geheimdiensten nicht, aber es passiert.

Denn das Klima ändert sich, die Zeit ist möglicherweise vorbei, in der Regierungen einfach so davonkommen, wenn sie dulden, dass ihre Bürger über Jahre hinweg ausspioniert werden. Oder, um es mit dem FDP-Politiker Gerhard Baum zu sagen: "Darüber müssten eigentlich Regierungen stürzen."

Schon einmal haben deutsche Parlamentarier versucht, in das Innere von Geheimdiensten zu leuchten: Zwischen 2006 und 2009 untersuchte der sogenannte BND-Untersuchungssauschuss unter anderem, wie amerikanische und deutsche Dienste kooperieren. Der Ausschuss blieb politisch wirkungslos, vor allem weil den Kontrolleuren wichtige Dokumente vorenthalten wurden.

Diesmal aber könnte es anders sein. Zumindest gibt es kleine, vorsichtige Indizien dafür. Eines davon ließ sich am Donnerstag im Bundestag besichtigen. Da traten die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums nach ihrer Sitzung, in der über die beiden Spionagefälle beraten wurde, vor die Presse und waren sich einig: Sie seien diesmal umfassend und gründlich informiert worden. Alle Fraktionen fanden, die geladenen Vertreter von Bundesregierung und Geheimdiensten hätten wirklich alles gesagt, was sie wussten. Eine Seltenheit.

Vielleicht ist es wieder nur Heuchelei. Vielleicht wird sich wieder nichts ändern an dem grenzenlosen Sammelwillen von NSA, BND und Verfassungsschutz. Vielleicht aber ist spätestens jetzt eine Bewegung in Gang gekommen, die den politischen Willen organisieren kann, das Verhältnis von Geheimdiensten, Bürgern und Regierung neu zu ordnen.

Tragisch daran ist allerdings, dass der Auslöser fünf Leitz-Ordner mit eher unbedeutenden Akten sind, die ein BND-Mitarbeiter an die NSA verkauft hat, weil er Geld verdienen wollte. Die Tausenden Aktenseiten, die Edward Snowden im Bemühen um Transparenz an die Öffentlichkeit gebracht hat, haben bei der Politik dagegen viel weniger bewirkt.