Clayton M. Christensen ist sehr innovativ. Seine Erfindung heißt "disruptive Innovation". Aber weil das nicht schön klingt, hat Christensen sie unter dem Buchtitel The Innovator’s Dilemma vermarktet.

Der Professor der Harvard Business School hat mit seinen Büchern, allen voran dem Innovator’s Dilemma (1997), eine starke Position auf einem heißumkämpften Markt erobert. Dieser Markt kommt zwar nicht in volkswirtschaftlichen Statistiken vor und auch in keiner Anlagestrategie von Finanzinvestoren. Auf ihm wird auch nur vergleichsweise wenig Geld bewegt, aber dafür etwas anderes, das mindestens ebenso wirkmächtig ist: Das Denken.

Zerstörerische Erfindungen

Christensen schuf mit seiner These von den disruptiven, zerstörerischen Erfindungen, die die althergebrachten Zustände "zerreißen", so etwas wie das akademische Fundament des anschwellenden Rufs nach Innovation, ohne den keine Stellenanzeige, kein Quartalsbericht und kein parteipolitisches Programm mehr auskommt. Seine These: Nicht schlechte Entscheidungen sorgen für den Untergang von Unternehmen, sondern "gute", aber alte Entscheidungen. Das ist das angebliche Dilemma: Das früher Gute ist nicht gut, weil es nicht neu ist. Und weil die Geschichte immer schneller läuft, wächst die Gefahr, Chancen zu verpassen.

Christensens These gewann bald einen dogmengleichen Status, wozu der Ruf seines Arbeitgebers Harvard Business School sicher beitrug. Ökonomen und Management-Autoren haben die Chancen denn auch ergriffen: Als disruption consultants predigen sie auf disruption conferences und disruption seminars Christensens Lehre. Es ist damit das akademische Fundament des anschwellenden Rufs nach Innovation geworden. Bloß gibt es dabei einen Haken: Christensens Fallbeispiele halten nicht, was sie versprechen.

Beängstigendes Dogma

Jill Lepore, Harvard-Professorin und neuer Stern der amerikanischen Geisteswissenschaften, hat das Dogma der zerstörerischen Innovation mit einem einzigen Essay im New Yorker in die Luft gejagt. Lepore zeigt, dass Christensen ein lausiger Unternehmenshistoriker ist: Die Firmen nämlich, die angeblich zugrunde gingen – amerikanische Diskettenlaufwerkhersteller – existierten meist in leicht veränderter Form erfolgreich weiter, und die angeblich zerstörerischen Innovatoren waren oft nach einiger Zeit selbst zerstört.

Lepore versucht nicht, ein eigenes neues Dogma an Stelle des zerstörten Christensenschen zu platzieren. Sie ist eben keine Management-Autorin, sondern Historikerin.

Wie es sich für gute Geisteswissenschaftler gehört, geht Lepore kritisch der Idee auf den Grund, die durch Christensen und andere Ökonomen in die Köpfe der lesenden Manager gepflanzt wurde: "Die Idee der Innovation ist die Idee des Fortschritts ohne die Hoffnungen der Aufklärung, sauber geschrubbt von den Schrecken des 20. Jahrhunderts, und befreit von seinen Kritikern. Disruptive Innovation geht weiter, sie ersetzt die Hoffnung auf Erlösung durch die Verdammnis, die es benennt: Zerstöre und du wirst gerettet sein."

Christensens Dogma hat, so entlarvt Lepore, vor allem einen Zweck: Es macht Angst. Angst, zerrissen zu werden von fremden Innovationen. Es taugt dadurch als Peitsche in der Hand derjenigen, die ein Interesse daran haben, zum Innovieren anzutreiben.