Eigentlich hatte Rob Rhinehart mit Essen so gar nichts am Hut. Der 25-Jährige arbeitete in San Francisco gemeinsam mit zwei Partnern an einer Möglichkeit, preiswerte Mobilfunkmasten herzustellen. 170.000 Dollar an Startkapital hatten sie dafür bekommen, doch die Idee versickerte ebenso schnell wie das Geld. 70.000 Dollar waren noch übrig, als Rhinehart und seine Partner beschlossen, es solange mit anderen Software-Ideen zu versuchen, bis das Geld aufgebraucht sein würde. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Ausgaben zu drücken, landeten Rhinehart und seine Mitbewohner vor ihrem Kühlschrank. Der war gefüllt mit ungesunden Fertigsuppen und Tiefkühlpizzen, die ans Geld gingen.

"Essen war eine große Belastung", schrieb Rhinehart in einem Blogeintrag. Dass er es überhaupt brauchte, nervte ihn. Die Zeit, die er in die Zubereitung und den Einkauf steckte, wollte er sinnvoller nutzen. Der gelernte Elektroingenieur begann, sich durch die Webseiten der US-Gesundheitsbehörde FDA zu arbeiten, kaufte im Internet Pillen und Pulver, die die nötigen Nähstoffe enthielten – und mischte alles in einem Mixer mit Wasser. Das Ergebnis nannte er Soylent, eine augenzwinkernde Anspielung auf den Science-Fiction-Klassiker Soylent Green über Überbevölkerung und Verschmutzung, in dem die Regierung Menschen zu Pillen verarbeitet. Seit eineinhalb Jahren ernährt sich Rhinehart nach eigenen Angaben von seinem Getränk – und ist längst nicht mehr der einzige.

Der Unternehmer postete seine Erfahrung auf einem Hacker-Portal. Nach kürzester Zeit hatte sein Eintrag Hunderte Kommentare von anderen Nutzern, die nach dem Rezept fragten und eigene Vorschläge machten. Ermutigt von dem Interesse legten Rhinehart und seine Partner alle anderen Projekte zur Seite und konzentrierten sich voll auf die Weiterentwicklung von Soylent. Eine Fundraising-Kampagne im Internet erreichte das selbst gesteckte Ziel von 100.000 Dollar nach nur zwei Stunden. Inzwischen hat Rhinehart die ersten Bestellungen an die mehr als 25.000 Unterstützer in den USA ausgeliefert.

"Rhinehart hat sich geschickt positioniert", sagt Monica Reinagel, Ernährungsexpertin und Autorin der Seite Nutrition Diva. Eigentlich sei der Markt seit Jahren voll von Drinks, die Mahlzeiten ersetzen sollten. Aber anders als bestehende Produkte ziele Soylent nicht auf Bodybuilder oder Abnehmwillige ab. Rhinehart wende sich an die Hacker-Generation, für die es lästig sei, jeden Tag über das Mittagessen nachdenken zu müssen. Der Ansatz, den Alltag durch "Hacking" einfacher zu machen, sei es, worauf diese Zielgruppe anspringe. Ernährung wird zum Bug, den es zu beheben gilt.

Die Tagesration kommt in einem schlichten weißen Beutel, ergänzt um eine kleine Flasche Öl – ein Design, das zur Apple-Generation passt. Mit Wasser angerührt versorgt Soylent den Körper mit 2.000 Kalorien – kein Nachmittagstief, kein Hungergefühl, und das alles für zehn Dollar am Tag, so verspricht Rhinehart. Inzwischen hat seine Firma Rosa Labs prominente Unterstützer wie die Wagniskapitalgeber Andreessen Horowitz und Y Combinator. Täglich erhält der Unternehmer neue Bestellungen im Wert von rund 10.000 Dollar, schon jetzt ist die Firma nach eigenen Angaben profitabel. Programmierer aus San Francisco haben unter DIY.Soylent.me eine Rezepteseite gestartet, auf der Nutzer sich ihre eigene Formel zusammenstellen können, perfekt abgestimmt auf Gewicht und Kalorienverbrauch.

"Risiko Mangelernährung"

Ernährungsexperten wie Monica Reinagel sind dennoch skeptisch. "Es besteht das Risiko von Mangelernährung, wenn man sich über längere Zeit ausschließlich von Soylent ernährt", erklärt Reinagel. Rob Rhinehart sei Ingenieur, kein Ernährungswissenschaftler, und es gebe Dinge, die er übersehen oder vergessen habe. "Natürlich ist Soylent im Vergleich zur Ernährung vieler Amerikaner ein Upgrade", sagt Reinagel. Aber diese Menschen, glaubt die Expertin, spreche die Firma nicht an.

Trotz der Bedenken: Rob Rhinehart ist zum Darling der Food-Hacking-Bewegung geworden, wie sich die Techies nennen, die nicht an neuen Gadgets arbeiten, sondern unser Essen optimieren wollen. Auch Josh Tetrick gehört dazu. Der 33-Jährige will schon bald sämtliche Fabrik-Eier in den USA – immerhin produzieren die eingepferchten Legehennen davon 80 Milliarden im Jahr – mit Eiern ersetzen, die zwar schmecken und sich verhalten wie echte Eier, aber eben keine sind. Seine Firma Hampton Creek Foods tüftelt an einem Produkt, das durch eine geschickte Verknüpfung und Verarbeitung von Proteinen – natürlich alles streng geheim und patentiert – dem Original zum Verwechseln ähnlich ist.

Tetrick beschäftigt Ingenieure, Bio-Chemiker und Ernährungswissenschaftler, die in den vergangenen Jahren auf der Suche nach dem perfekten Fake-Ei Hunderte von pflanzlichen Proteinen auseinandergenommen haben. Erste Hersteller von Fertigessen nutzen das "neue Ei" schon jetzt für Mayonnaise und Kuchen. Zu den Fans und Geldgebern gehören Menschen wie Yahoo-Mitgründer Jerry Yang. Auch Bill Gates war beim Geschmackstest so beeindruckt von dem Ergebnis, dass er kurzerhand als Investor einstieg.

Google-Co-Gründer Sergey Brin wiederum war einer der Investoren hinter dem ersten Labor-Burger, der aus Kuh-Zellen gezüchtet worden war und im August 2013 öffentlich verspeist wurde. Angesichts des riesigen CO2-Ausstoßes bei der Produktion von Fleisch und der inhumanen Tierhaltung seien diese Entwicklungen "sehr interessant", meint Expertin Reinagel. Hier könne auch Soylent eine Rolle spielen. Rhinehart etwa plant, langfristig alle Bestandteile von Soylent künstlich herzustellen und so viele Bereiche der Landwirtschaft überflüssig zu machen.

Doch vorerst geht es ihm vor allem um Bequemlichkeit. Sein Getränk soll jene Mahlzeiten ersetzen, die nur dazu dienen, den Magen zu füllen, heißt es bei Soylent. "Was wäre, wenn Sie sich nie wieder Gedanken über das Essen machen müssten?", fragt ein Video. Statt eines schnellen Döners oder einer Tiefkühlpizza sollen wir Soylent trinken. Und anstatt eine lange ungesunde Mittagspause zu machen, sollen die Programmierer im Silicon Valley dank Rhinehart durcharbeiten können. Inzwischen hat er die Zusammensetzung leicht verbessert, das Getränk ist weniger süß und beinhaltet Enzyme, die die Verdauung erleichtern sollen. Rhinehart nennt es Soylent 1.1.